In seinem Buch „Bilder trotz Allem“ diskutiert Georges Didi-Huberman die Bedeutung der vier einzig erhaltenden und überlieferten Fotografien aus Ausschwitz. Sie zeigen schemenhaft Szenen vor der Gaskammer. An einem Ort wie Ausschwitz gelangt der Prozess des Archivierens an seine Grenzen. Die „unaussprechbare“ und „unvorstellbare“ Geschichte des Konzentrationslagers bringt mich erneut zu dem Gedanken des Nicht-Archivs.
Im Falle Ausschwitz wird die Frage der Geschichtsschreibung von Grund auf erschüttert. Zum einen, weil der Mangel an Zeugen und Dokumenten für sich steht, zum anderen, weil es keinen kollektiven Konsens über dem Umgang mit einem so drastischen Stück Geschichte gibt. Die menschheitstypische Eigenschaft des Benennens, Sortierens, Kategorisierens, Einstufens und Evaluierens kann hier so einfach nicht angewendet werden. Der Gedanke an einen Stapel Ausschwitz-Akten im Regal, neben anderen Epochen, nach Jahrgang sortiert, ist makaber und verstörend. Trotzdem ist Ausschwitz untrennbarer Teil der Geschichte.
Übertrage ich diesen Gedanken auf andere Teile der Geschichte, so wird mir bewusster denn je: Wie viel ist passiert, ohne dass es den Einzug in ein Archiv gefunden hat? Wie viel hat versagt, wenn es darum ging, es zu bezeichnen oder zu bewahren, es zu konservieren und für die Geschichtsschreibung zu rechtfertigen. Ich meine damit nicht nur die grausamen Anteile unserer Geschichte, sondern auch die schönen. Wie viel ist passiert, was keiner Dokumentation bedurfte? Wie viel Wissen und wie viele Gedanken sind beim Rückblick vergessen oder weggelassen worden – bewusst oder unbewusst gefiltert. Ich glaube, dass es Wolfgang Ernst war, der sagte, dass jedes Archiv immer auch ein Nicht-Archiv impliziert – das, was nicht blieb. Beim Erfassen des Nachlasses von Heimo Bachstein ergeht es mir ähnlich. Besonders die Eisenstein-Ecke verweist eher darauf, wie viel wahrscheinlich gewesen ist. Bachsteins Leidenschaft und Begeisterung für diese Filme ist an keiner Stelle direkt geäußert, sie selbst wurde nicht dokumentiert. Aber anhand jedes noch so kleinen Filmstils oder Briefschnipsels können wir auf ihre Existenz schließen, sie – zumindest in Teilen – erahnen.